Ein Stadtauto überragt das Waldauto in unserer Einfahrt. Auf gleichem Niveau, was die 17cm Bodenfreiheit angeht, aber dennoch höher und mit Heckantrieb: Ein Fuego-farbener Twingo, den lediglich 120cm, 170PS, zwei angetriebene Vorderräder und eine Analoguhr vom Passat Alltrack trennen.
Ich halte den Twingo weder für „knuffig“, noch für ein „Frauenauto“ und schon gar nicht für eine „Knutschkugel“, wie ich hier in den verlinkten Testsberichten gelesen habe.
Denn er hat die harte Aufgabe die Kinder und mich durch die City zu bringen. Sowie am Wochenende Seniorenwindeln und Wasserkästen eine Stunde über die Autobahn zu den Eltern. 9 10er-Packungen polnische „Super Seni“ passen auf die Motorabdeckung, während der VW Variant nur 8 hessische Wasserkästen oder 650 Liter ohne Flaschen zwischen Rückbank und Laderaumabdeckung kippen kann. Die Windeln werden hautwarm, das Wasser bleibt dank 3-Zonen Klimaautomatik kalt.
Die Limited Ausstattung ist im 4. Baujahr gar nicht mehr so spartanisch: Der Kofferraum ist erleuchtet, das Handschuhfach nicht mehr mobil, mein Kupplungsfuß ruht auf einer Erhöhung links des Einsatzortes. Und es gibt sogar einen Omagriff über der Tür, an dem sich meine panischen Beifahrer bei Bedarf festklammern. Auf die Rückbank wollen die sich seit der Rückenbegradigungsverstellung sowieso nicht mehr platzieren.
Wenn ich dann bei Aprilwetter mit dem R5 Turbo Nachfolger auf der A5 von Frankfurt nach Darmstadt flitze, fühle ich mich wie einst der Rennfahrer Bernd Rosemeyer in seinem Auto Union Naziauto. Ich hoffe krampfhaft, dass mich mit 280km/h weniger auf dem Tacho nicht sein Schicksal ereilt: Er wurde vom Seitenwind verweht.
Im Rallystreifen-Twingo trete ich das Gaspedal bis zum Teppichboden durch. Das trau ich mich im BiTDI Turbo mit max. 500 Nm Drehmoment trotz Allrad nicht. Aber im halb so schweren 70PS 90Nm Twingo ist der Bleifuß beim Überholen überlebenswichtig. Den Drehzahlmesser vermisse ich beim permanenten runterschalten nicht. Denn selbst mit Aggrofahrweise verbrauch ich weniger E10-Sprit als mein Partner im Relax-Komfortmodus im Kombi an Diesel. Dafür ist sie halt 5min früher da.
Einen genderneutralen Vorteil hat der kleine Wendekreis: Ich missbrauche mit dem Wägelchen keine Frauenparkplätze. Ich schaffe es auch ohne Rückfahrkamera und Gepiepse auf Parkplätze für echte Kerle. Die mitleidigen Blicke vom anderen Geschlecht nehme ich dabei beim Aussteigen in Kauf. Denn ein Twingo ist das Vernunftsauto gefühlloser Individuen, die die Statusbedürfnisse ihrer Mitmenschen ignorieren. Die Entscheidung zugunsten eines entschleunigten Renaults ohne beleuchtete Schminkspiegel wird eben von kühl rechnenden Herren gefällt, deren Rundungen der Twingo-Karosserie ähneln. Es fehlt nur die Sonderlackierung „Halbglatze“ mit pelzig/behaart-Effekt.
In diesem Forum lernte ich, dass Twingoisten ihr Gefährt gerne individualisieren. Ein Accessoire hier, ein Aufkleber da. Das fände ich bei den Firmenwagen auch toll. Ein einfacher Aufkleber mit Firmen/Behördennamen sowie dem Flottenrabatt in % auf jedem Passat. Die Fahrweise würde schlagartig unaufdringlicher und weniger wichtig tuend. Obwohl ... Passatler fahren meist souveräner und vorausschauender als Leute im hektisch spurwechselnden Kurzstrecken-Citadine.
In beiden Autos möchte man nicht übernachten. Im Twingo hört man beim Einschlafen klarer die heimische Fauna, während einen als Passatschläfer die Selbstzweifel eines Handlungsreisenden wachhalten.
Fazit: Das Containerschiff aus Emden entspannt einen auf fremdbezahlten Autobahnkreuzfahrten. Und mit der Revoz-Jolle vom Balkan segelt man gut gelaunt, beide Hände fest am Lenkrad, durch die Hochhausschluchten über die Mainbrücken.